Immer wieder sonntags: Der Reichstag trifft sich seit 125 Jahren
im Hotel zur Post / fünftältester Stammtisch Deutschlands
Jeden Sonntag um 19 Uhr treffen sie sich
im „Hotel zur Post“. Und das seit 125 Jahren.
Bis zu 14 Männer sind es, und keiner
mehr. „Mehr passen nicht ins Reichstagszimmer“,
erklärt Josef Kersting mit einem
Schmunzeln.
Warum eigentlich Reichstag? „Den Namen
haben wir uns nicht etwa selbst gegeben“,
erzählt Johannes Suttrup, mit 96 Jahren das
älteste Mitglied des Stammtisches. Den
Namen haben sich die Lüdinghauser ausgedacht.
„Do sit de Reichstag von Lünkhusen“,
hieß es. Da sitzt der Reichstag von Lüdinghausen.
Bürgermeister, wichtige Leute warenMitglied. „Da wurde früher richtig Politik
gemacht“, erinnert sich auch Mene Uhlenkott.
Der Reichstag mischt sich gerne ein
Auch heute noch setzen sich Johannes
Suttrup, Wolfgang Uhlenkott, Otto Pernhorst,
Friedrich Meyer, Dr. Bernd Ferkmann, Walter
Hellermann, Josef Kersting, Alfred Focke,
Christoph Davids, Eberhard Bleich, Bernd
Kurth, Bernd Klapheck und Wolfgang Nabbefeld
(so setzt sich der Reichstag heute zusammen)
für die Belange der Stadt ein.
Kubus-Bau, Standort Bücherei, das Fenster
und der Denkmalschutz für die Trauerhalle –„wir mischen uns gerne ein“, sagt Josef Kersting.
Gespendet wird auch.
Aktuell liegen den Mitgliedern die Grünflächengestaltung
sowie Sichtachsen in der
Stadt am Herzen. „Dem Glockenkolk täte es
gut, die Brennnesseln zu entfernen“, so Josef
Kersting. Eine weitere Idee: Von der Hakebrücke
zum Rüschkampparkplatz kommend
stehen zwei Platanen. „Wenn man hier die
Sträucher entfernen und vielleicht auch noch
die Brücke ein wenig versetzen würde, hätte
man eine tolle Sichtachse durch das Platanentor“,
erklärt Wolfgang Nabbefeld.
Grußwort aus Berlin
Im „Hotel zur Post“ hat der „Reichstag“, der
1892 gegründet wurde und damit der fünftälteste
Stammtisch Deutschlands ist, sein
eigenes Zimmer, über der Tür prangt in Messingschrift:
„Gesellschaft Reichstag“. Früher
war es das Wohnzimmer der Wirtefamilie
Uhlenkott. „Hier durfte sich der Reichstag
treffen“, sagt Mene Uhlenkott, die von den
Herren liebevoll „Herbergsmutter“ genannt
wird. „Das war eine Auszeichnung.“ Die
Wände zieren der Stammbaum, die Hymne,
ein Grußwort des langjährigen Bundestagspräsidenten
Norbert Lammert „aus demReichstag in den Reichstag“. Für Mene Uhlenkott
gehören die Reichstagsmitglieder schon
fast zur Familie. Wenn sie Geburtstag feiert,
ist der Reichstag dabei.
Mitglieder werden berufen
Möchten die Herren denn sonntags abends
gar keinen Tatort schauen? „Hier ist der bessere
Tatort“, sagt Bernd Klapheck augenzwinkernd.
Man merkt, dass es lustig zugeht im
Reichstag. Hier wird herzhaft gelacht. Boßeln,
Forellenessen, Fahrten – aktiv ist der Reichstag
auch.
Christoph Davids ist das 62. und damit jüngste
Mitglied. „Man wird berufen“, erklärt
Josef Kersting. Dafür ist ein einstimmiger
Beschluss der Mitglieder erforderlich. „Es ist
erstaunlich und absolut außergewöhnlich,
dass unsere Vorväter es auch über zwei
Kriegszeiten geschafft haben, die 14 Plätze
des Stammtisches immer zu besetzen“, sagt
Davids.